Gestern hatten wir Besuch von einer jungen Frau, die seit kurzem auch hier im Tschad lebt. Sie arbeitet mit einer Organisation, die Sprachforschung betreibt und Bibelübersetzungen realisiert. Schon seit einiger Zeit steckte in der Hauptstadt ein Container fest mit dem Neuen Testament in zwei Sprachgruppen im Tschad. Aus verschiedenen Gründen wurde der Container noch nicht freigegeben. Letzte Woche aber war es endlich so weit und morgens lieferte ein großer Wagen die frischgedruckten Neuen Testamente. Die Mitarbeiter der Organisation riefen direkt die Pastoren der entsprechenden Sprachgruppen an, die in der Hauptstadt leben, um ihnen die freudige Neuigkeit zu überbringen, dass nun endlich die NTs da sind. Nach nur wenigen Minuten füllte sich das Gelände mit verschiedenen Pastoren und sie zeigte mir Bilder, wie die Männer erstmals (!) freudestrahlend und mit Tränen in den Augen Gottes Wort in ihrer Herzenssprache in den Händen hielten. Es war wirklich beeindruckend und berührte mich sehr. Teilweise fingen sie laut an, darin zu lesen und konnten es nicht fassen, dass dieser Moment nun endlich gekommen war.
Ok, aber ich schweife etwas ab, denn eigentlich wollte ich über etwas anderes schreiben. ;-)
Während wir uns unterhielten, kamen wir irgendwann auf das Thema "Single sein" und "Familie" zu sprechen. Sie sagte, dass in einem Ort irgendwo mitten im Tschad zwei alleinstehende Frauen viele Jahre zusammen arbeiteten und ein großes langwieriges Projekt stemmten. Für wenige Monate lebte auch mal eine Familie dort, die dann aber nie aus ihrem ersten Heimatdienst zurückkehrte, weil eines der Kinder krank wurde. Eine der alleinstehenden Frauen sagte wohl so etwas wie:
"Alleinstehende Personen sind viel verlässlicher. Du weißt: Die kommen wieder. Von einer Familie hast du nicht viel. Es kommen mehrere Personen, aber eigentlich hast du nur von einem was und die Zukunft ist ungewiss."
Danach machte ich mir noch ein paar Gedanken dazu, irgendwie ließ mich der Satz nicht los.
Es stimmt, was die Frau gesagt hat: Von einer Familie, die hier hinkommt um zu dienen, kann nur einer sich wirklich einbringen. Klar können Mann und Frau sich den Dienst aufteilen, aber da einer immer bei den Kindern sein muss, kann man nur eine 100%-Stelle "bieten". Je mehr Leute, desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass jemand krank wird. Es gibt Familien, da ist immer irgendjemand krank und da braucht auch die Frau mal den Mann Zuhause, um mitzuhelfen. Und es gibt auch Familien, die tatsächlich nicht aus der Heimat zurückkommen, weil jemand krank geworden ist und der Tschad nun einmal eines der ärmsten Länder der Welt ist und längst nicht jede Krankheit hier behandelt werden kann.
Und häufig ist es auch so, dass Familien wieder in ihre Heimat zurückgehen, wenn es um den Schulabschluss des ältesten Kindes geht. Singles können bleiben, solange sie wollen und sind viel flexibler. Natürlich können die auch krank werden oder verlassen das Einsatzland, wenn ihre eigenen Eltern Hilfe brauchen etc. Aber Fakt ist: Sie haben ein viel größeres Zeitfenster als eine Familie, das sie nutzen können für ihren Dienst und die Zeit mit den Einheimischen.
Manchmal führt das zu Spannungen, wenn Alleinstehende und Familien zusammenarbeiten und es um z.B. um Erwartungen der Arbeitszeit oder des Lebensstils geht.
Ich glaube es liegt eine große Chance darin, zusammenzuarbeiten, weil man aneinander reift und Rücksichtnahme, Wertschätzung und klare Kommunikation üben kann. Ich glaube, dass es genau so auch mit Gleichgesinnten Konflikte geben kann, z.B. weil man sich vergleicht.
Eine meiner größten Herausforderungen in diesem Jahr war es unter anderem, immer wieder meine Prioritäten zu setzen und zu sehen, was meine Hauptaufgabe ist. Und ich gebe zu, dass ich mich manchmal unter Druck gesetzt habe, so viel schaffen zu wollen, wie Menschen, die keine Kinder haben. Und die schaffen manchmal so viel! Und manchmal brauchen die noch nicht einmal eine Pause.
Moment mal: Keine Pause? Naja, die Not ist doch so groß und direkt vor der Haustür. Wir werden gebraucht!
Aber machte nicht Gott selbst eine Pause? Ruhte nicht er selbst, nachdem er die ganze Schöpfung erschaffen hatte?
Und hatte nicht auch Jesus selbst Zeiten des aktiven Dienstes und Zeiten des Rückzuges?
Kann es sein, dass sich hinter unserer noch so geistlichen Fassade manchmal Stolz versteckt? Stolz, weil wir denken, auf uns kann man nicht verzichten. Stolz, weil wir denken, wir bräuchten keine Pause. Stolz, weil wir hier so einen sichtbaren Unterschied machen.
Und wieder einmal neu habe ich erkannt, wie sehr meine Kinder mich erden und auf den Boden der Tatsachen bringen:
- Mit Kindern brauchst du einen Rhythmus von Arbeit und Ruhe.
- Mit Kindern machst du nicht immer hochgeistliche Sachen, sondern du wechselst vollgekackte Windeln, holst Essensreste aus der letzten Küchenecke hervor und gibst auch dann noch, wenn du denkst, es geht nicht mehr.
- Kinder bewahren dich vor Stolz, weil dich diese Erziehungsaufgabe immer wieder vor deine eigenen Grenzen und Unvollkommenheit stellt.
- Kinder öffnen dir Türen in dieser Kultur und selbst wenn du weniger "effektive" Zeit mit den Einheimischen verbringst, weil eben deine Kinder dein Dienst Nummer 1 sind, so passt du doch viel mehr in das Denken der Einheimischen weil die ganze Gemeinschaft nur aus Familien besteht. Alleinstehende gibt es hier so gut wie nicht und passen nur schwer in ihr Konzept.
- Die Elternschaft verbindet dich mit den Eltern hier. Sind doch manche Sorgen und Gedanken einfach die gleichen, auch über Länder- und Kulturgrenzen hinweg.
- Kinder in einer anderen Kultur zu erziehen, schafft eine tiefe Verbundenheit mit dem Einsatzland. Die Tragweite der Entscheidung in ein anderes Land zu ziehen, ist für Familien oft weiter, als für eine alleinstehende Person. Du denkst für deine Kinder mit und bist schnell bei größeren Themen wie Beschulung, Verzicht auf Präsenz der Großeltern, Kindheit außerhalb deiner Heimat, was einen Menschen viel stärker prägt, als als Erwachsener das Heimatland zu verlassen...
Und dann gibt es die Familien, die eben doch aus ihrem Heimatdienst zurückkommen, obwohl sie ein krankes Kind haben. Familien die bereit sind, mehrmals im Jahr das Land zu verlassen, um ihrem kranken Kind eine ärztliche notwendige Behandlung zu ermöglichen, aber Kosten und Mühen nicht scheuen, um eben doch ihren Dienst in diesem Land weiterführen zu können und einen Unterschied zu machen.
Und dann staune ich auch über die Leute, die alleinstehend sind und hier hinkommen. Die eben keinen Partner haben, mit dem sie sich intensiv über all das hier austauschen können. Mit dem sie gemeinsam schwierige Zeiten durchleiden können. Außerdem sinkt meistens die Wahrscheinlichkeit erheblich, einen Partner kennenzulernen, wenn man nicht gerade einen Einheimischen heiraten möchte (da gibt es meist ja doch den ein oder anderen Heiratsantrag). Immer wieder müssen sie sich vor den Einheimischen "rechtfertigen" dafür, dass sie nicht verheiratet sind, weil es nicht in das Konzept der Menschen passt.
Vielleicht scheint dir diese spezielle Auslands-Thematik etwas weit weg. Aber vielleicht fällt es dir auch in Deutschland manchmal schwer, die richtigen Prioritäten zu setzen und zu sehen, worin gerade dein Dienst Nummer 1 besteht. Vielleicht vergleichst du dich mit anderen und beneidest sie um ihre Aufgabe oder Zeit. Dann will ich dich ermutigen, ALLES was du tust, für den Herrn zu tun: Ob du nun Windeln wechselst oder zur Arbeit gehst, ob du den Wäscheberg vor dir siehst oder für eine Prüfung an der Uni lernst: Deine Herzenshaltung macht den Unterschied!
Amen! Danke Judith für diese Ermutigung!
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