Wie Tschader uns zum Segen wurden


Es ist Sonntag Nachmittag und wir sind auf dem Rückweg von einem Gebetstreff nach Hause. In mir klingen noch die bekannten Verse aus Josua 1 nach, die wir gelesen haben.
"Ich will dich nicht verlassen noch von dir weichen. Sei getrost und unverzagt (...). Sei nur getrost und ganz unverzagt (...). Habe ich dir nicht geboten: Sei getrost und unverzagt? Lass dir nicht grauen und entsetze dich nicht, denn der Herr dein Gott ist mit dir, in allem was du tun wirst." (aus Josua 1, 1-9).
Es ist schon dunkel, aber die Straßen sind verhältnismäßig leer. Doch es dauert nicht lange und wir fahren in einen Stau. Nun, das ist nicht selten, da es viele kleine und große Unfälle gibt, wo sich Staus bilden. Aber diesmal ist es anders. Die Straße wird immer voller und dichter und irgendwann herrscht das reinste Chaos und es gibt kein Vor und Zurück mehr. Was ist hier los? So haben wir das noch nie erlebt, doch niemand kann uns helfen. Am Himmel blitzt es und ein Gewitter zieht heran. Normalerweise sind wir in 30-40 Minuten Zuhause, doch jetzt sind wir schon 1 Stunde unterwegs. Dann sehen wir eine Straße, die rechts abgeht von der zugestopften Hauptstraße und wir sehen, dass einige Autos abfahren. Wir fragen uns, ob es sinnvoll wäre, dort auch abzufahren und zwar einen Umweg in Kauf zu nehmen, aber zumindest voran zu kommen und wahrscheinlich früher Zuhause zu sein, als den Stau abzuwarten. 
Wir entscheiden uns dafür abzufahren und denken dabei ziemlich "deutsch", wie mir nachher klar geworden ist. Vom Navi werden wir immer weiter ins Viertel hineingeführt, mittlerweile ist es stockdunkel und alle wollen schnell nach Hause, bevor der Regen kommt. Mit der Hauptstraße haben wir auch die asphaltierte Straße verlassen. Das bedeutet in der Regenzeit matschige und teilweise unbefahrbare Straßen, vor allem mit unserem Auto (wir haben keinen Geländewagen). Irgendwann sehen wir keine Autos mehr, nur noch ein paar Gestalten, die an uns vorbei huschen. Das Navi führt uns in eine Straße, die stellenweise voller Wasser steht. Die Hauptstraße kann dann aber nicht mehr weit sein und so entscheiden wir uns, in die Straße hineinzufahren. Doch die Matsche ist zu tief. Wir stecken fest und kommen nicht mehr raus. Es fängt an zu tröpfeln. Jano steigt aus und fragt ein paar Männer, die noch schnell im Trockenen Zuhause ankommen wollen, ob sie uns helfen können. Sie sind bereit und schieben von vorne, während Jano versucht rückwärts zu fahren. Mittlerweile schüttet es aus allen Kübeln. Keine Chance. Ich sehe nur, wie vorne und hinten durch das Durchdrehen der Räder Schlammfontänen hochschießen und sich über unseren Helfern ergießen. Der eine trägt ein weißes Gewand, das nun von oben bis unten mit Schlamm bedeckt ist. Jano sagt: "Judith, ich muss mit schieben. Du musst ans Steuer." Josiah und Jamila sind mittlerweile eingeschlafen. Ich setze Jamila, die in meinem Arm schläft, vorsichtig in ihren Sitz - und tatsächlich - sie schläft weiter. Ein schreiendes Baby hätte meine Nerven jetzt überstrapaziert. Ich setze mich ans Steuer, vor mir nasse und dreckige Männer, ich atme durch und folge den Anweisungen meines Mannes. Ich staune und bin voller Dankbarkeit über die Hilfsbereitschaft der einheimischen Männer. Wir wären völlig aufgeschmissen. Sie sind bereit, sich dreckig zu machen für uns. Tatsächlich - es klappt! Wir kommen aus dem Schlammloch raus und bedanken uns herzlich. Jano steigt noch einmal aus, um ihnen ein wenig Geld zu geben, doch nur einer nimmt es an. Jano verschwindet noch kurz im dunklen Hof, um sich etwas sauber zu machen. Ich sitze mit den Kids alleine auf der dunklen Straße und bete, dass Gott uns hier herausholt. Meine Hoffnung wird allerdings immer kleiner, als wir versuchen weiter zu kommen und ich halte schon Ausschau nach einem Tor, wo wir klopfen können, um dort zu übernachten. Vor jeder Pfütze steigt Jano aus und watet barfuß hindurch, um zu schauen, wie tief sie ist. Wir kommen ein paar Meter weiter, bis wir auf einer kleinen Erdbrücke aufsetzen und mit dem einen Rad nur halb auf der Brücke hängen. Nun ist meine Hoffnung ganz dahin und meine Verzweiflung wird größer. Es ist schwer, das vor den Kindern zurückzuhalten. Mittlerweile ist auch Josiah wieder aufgewacht und sagt mit halb ängstlicher halb wütender Stimme: "S. (unser Teamleiter) soll kommen mit seinem Allradantrieb." (das sind Wörter, die unsere Kinder hier kennen :)
Wieder fragen wir Männer, die vorbeigehen, ob sie uns helfen können (mittlerweile regnet es kaum noch, durch den starken Regenguss ist der komplette Boden aber aufgeweicht und Straßen stehen unter Wasser). Und auch dieses Mal sind sie bereit. Es klappt! Wir kommen wieder auf die Brücke drauf und vor uns liegt eine Straße, die ebenfalls einige Löcher und Hügel bereithält, die wir mit unserem kleinen Auto befahren (oder umfahren) müssen. Wir sind mittlerweile über zwei Stunden unterwegs. Dann, am Ende der Straße sehen wir ein Taxi. Es lässt seinen Fahrgast dort raus und kehrt um. Wir wissen also, dass man bis dort durchzukommen scheint. Nun müssen wir "nur" noch dorthin kommen. Jano hält inne, ein Moment der Angst kommt auf. Durch einige Löcher muss man mit Schwung durchfahren und so muss man sich vorher gut überlegen, wo man lang fährt. Dann gibt er Gas und wir ruckeln mit unserem Auto durch die matschige Straße. Tatsächlich, wir erreichen das Ende der Straße, wo das Taxi gerade noch war. Wir atmen durch. Noch ist es nicht geschafft, aber die Hoffnung wächst wieder. Da sehen wir das Taxi. Es ist für uns wie ein Engel, den Gott geschickt hat. Wir können ihm einfach folgen, wissen wo wir entlang fahren können und mit unserem Auto durchkommen. Es führt uns (ohne es selbst zu wissen) direkt zur Hauptstraße. Der Stau ist aufgelöst. Wir sind unglaublich müde (nach drei Stunden Fahrt), aber so froh, dass wir aus diesem Viertel rausgekommen sind. Wir danken Gott und während wir vorher eher über die schlecht asphaltierte Straße geschimpft haben, sehen wir sie aus anderen Augen. Vielleicht aus tschadischen Augen!? Es ist eine Straße mit Asphalt. Punkt. Ja, sie hat Löcher. Aber sie ist nicht aus Sand und Staub, man hat festen Grund unter den Rädern.
Diese Situation hat mich einiges gelehrt:
- Tschader sind für uns zum Segen geworden! Wir werden durch die Menschen hier gesegnet. Die Männer haben sich für uns dreckig gemacht. Diese Hilfsbereitschaft hat mich beeindruckt. Und was ich die ganze Zeit wusste: Wenn wir hier nicht herauskommen, finden wir in jedem Fall eine Familie, bei der wir übernachten können. Die Gastfreunschaft hier ist groß und gerade in Notsituationen wird zusammengehalten. 
- Unverzagt und getrost zu bleiben, war gar nicht so einfach in der Situation. Wieso vergesse ich so oft, all mein Vertrauen auf Gott zu setzen und mache mir stattdessen Sorgen, werde unruhig und aufgewühlt? Ich will lernen, in Gott zu ruhen und unverzagt und getrost zu sein, weil Gott mit mir ist.
- Und ich will lernen dieses Vertrauen für meine Familie auszustrahlen. Mir gelingt es nicht immer, dann eine Stütze für meine Kinder und eine sinnvolle Hilfe für meinen Mann zu sein. Das will ich lernen.

Übrigens: An dem Tag ist ein alter Präsident gestorben und die Straße führt zum Friedhof. Wenn ein Gewitter aufzieht, versuchen aber die meisten noch schnell nach Hause zu kommen und die meisten nehmen an, dass dadurch der Stau zustande kam. 

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