Meine fordernde Nachbarin


Eine der ersten Frauen, die ich in unserer neuen Nachbarschaft kennenlernen durfte, ist die Einzige, die mich regelmäßig besuchen kommt. Das freut mich, denn es zeigt zunächst einmal Offenheit für mich, aus welcher Motivation auch immer. Während sie bei den ersten Treffen sehr sympathisch und freundlich wirkte, entwickelt sie sich zunehmend zu einer fordernden Person, die - für eine indirekte Kultur - sehr direkt formuliert, was sie denkt und will.
Ich höre Sätze wie "Hast du nicht noch mehr Eis für das Wasser, ich mag es kalt sehr gerne?" oder "Hast du nicht noch Kekse und Wassermelone? Das letzte Mal hattest du welche." Sie bringt immer eine andere Frau mit und manchmal wirkt es, als würde sie ihr präsentieren wollen, wie "die Weißen" so leben. Während unseres Gespräches lacht sie mich immer wieder aus, unterbricht mich und redet offensichtlich mit der anderen Person über uns. Alles wirkt aufgesetzt und ich komme mir vor, wie ein Zoo, in den man geht, um die Tiere im Gehege zu beschauen. Zum Schluss plündert sie noch unseren Zitronenbaum, lacht mich an und sagt: "Bis zum nächsten Mal."
Ich denke: "Bitte komme so schnell nicht wieder." und merke innere Wut. Wie kann sie mich so behandeln? Ich fühle mich nicht respektiert und verstehe überhaupt nichts mehr: Ich dachte, ich bin in einer indirekten Kultur!? Wie direkt ist bitte diese Frau und wie kann ich das deuten? 

Zugegeben: Wir sind hier etwas Besonderes. Eine kleine Attraktion und vielleicht ein bisschen Unterhaltung für die Leute. So viel passiert hier ja nicht und plötzlich wohnt hier eine weiße Familie mit Kindern. Das ist für manche höchst spannend und es ist nachvollziehbar, dass manche Frauen versuchen, von den Begegnungen zu profitieren. Eine Frau kam einmal kurz vorbei uns sagte: "Gib mir eine deiner zwei großen Schüsseln. Du hast doch zwei, da kannst du doch eine abgeben."
Als ich ihr antworte, dass das nicht geht, weil meine Haushaltshilfe unbedingt zwei benötigt - eine für die Wäsche und die andere für das Geschirr - nickte sie und alles war ok. Ich habe sie nicht bloßgestellt, eine dritte Person ist "schuld" und damit hat keiner sein Gesicht verloren. Doch genau das ist immer wieder herausfordernd: Indirekt kommunizieren ist in meiner "Herkunftskultur" in dem Maße nicht vorgesehen und so muss ich diese Art der Kommunikation erst einmal verstehen und diese Sprache lernen. Manchmal macht es richtig Spaß, wie ein Spiel. Und manchmal ist es nervig, anstrengend und fremd. Und dann gibt es Situationen, in denen die Einheimischen so direkt sind, dass ich mich frage, warum ich denn jetzt indirekt reagieren muss? Das fordernde direkte Kommunizieren ist glaube ich manchmal Unsicherheit im Umgang mit Weißen, Unverschämtheit (die Leute gibt es in Deutschland ja auch...) oder ...
Dieser Prozess ist spannend: Wie tickt diese Kultur? Wie funktioniert die Kommunikation?
Nach 10 Monaten im Land sind wir immer noch neu. Lernende, Beobachter, "Anfänger". Das ist manchmal anstrengend. Aber es ist auch wunderschön, weil das Leben hier die Perspektive verändert. Weil die Abhängigkeit von Gott präsenter ist. Weil die geistliche Welt sichtbarer ist und weil Gott an einem selbst arbeitet. Das ist wirklich eine wunderbare Erkenntnis: Man kommt, damit Menschenleben verändert werden, dabei verändert Gott einen selbst vielleicht am allermeisten. 

Bildquelle: https://www.desiringgod.org/articles/faithful-are-the-wounds-of-a-friend

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