Nichts bestimmt die Welt aktuell so sehr wie Corona. Die Medien sind voll davon und auch vor dem Tschad macht das Virus nicht Halt. Lange haben die Menschen es verdrängt und ständig hörte man Sätze wie "Die Krankheit gibt es hier nicht". Nun steigen aber die Infektionszahlen, Menschen sterben daran und die Einheimischen können es kaum noch verdrängen. Hilflos und ausgeliefert stehen sie dem Virus gegenüber, denn wenn sich schon hochentwickelte Länder in einem Krisenmodus befinden, wie wird sich die Situation hier entwickeln, wenn es kaum Krankenhäuser gibt und soziale Distanzierung hier quasi unmöglich ist?
Während die Krise für uns im Westen auch viele Chancen und Erkenntnisse bereithält, führen die "Begleiterscheinungen" durch die Maßnahmen hier fast unmittelbar zu Hunger und großer Not. Auf die Maßnahmen folgt hier nämlich nicht Kurzarbeitergeld vom Staat, sondern der Hunger. Die Menschen leben hier von der Hand in den Mund.
Für mich war es anfangs recht beängstigend zu sehen, was in meinem Heimatland passiert. Ich wusste schnell, dass Deutschland nicht mehr so ist, wie es war, als wir es verließen. Als wir es verließen, ging ich mit dem Bewusstsein, dass wir in Deutschland im Luxus leben und ich im Tschad auf viele Dinge verzichten werde, die mir in meinem Herzen doch ganz schön wichtig sind/geworden waren.
Als wir hier ankamen fand ich vieles einfach nur hässlich. Der ganze Müll auf den Straßen, die unfertigen Häuser, die Blechhütten, verwahrloste Kinder...Um ehrlich zu sein fragte ich mich des öfteren, wie ich die Zeit bis zu unserem ersten Heimatdienst, der schon von Anfang an für Sommer 2020 für 2-3 Monate geplant war, herumkriegen sollte.
Bis Corona kam.
Irgendwann schlich sich ein Gedanke ein, den ich schnell wieder verdrängen wollte. Könnte es sein, dass wir dieses Jahr aufgrund der weltweiten Krise nicht nach Deutschland gehen können? Ich wehrte mich innerlich dagegen und dachte nur: "Nein, das kann uns doch niemand nehmen."
Nach ein paar Tagen merkte ich aber etwas, dass in mir passierte und mich in eine Freiheit führte, die ich vorher nicht hatte. Es löste sich ein Knoten in mir. Ein Knoten, der mich hinderte, hier im Tschad wirklich komplett innerlich anzukommen. Ich verließ mich darauf, meine Familie und Freunde bald wiederzusehen und machte mich unabhängiger von den Beziehungen hier. Der Gedanke, eventuell nicht in die Heimat gehen zu können, eröffnete mir eine Tür in tiefere Beziehungen hinein, weil ich spürte: Ich brauche die Beziehungen hier und bin auf die Menschen in meinem Umfeld angewiesen. Es war als würde Gott mir zuflüstern: "Lass los und komm an."
Mir wurde bewusst, dass ein großes Potential darin liegt, mit den Menschen/Geschwistern hier vor Ort gemeinsam durch eine Krise zu gehen. In Ungewissheit zu leben, die uns alle betrifft. Ob ich nun viel oder wenig Geld habe, ob ich aus Deutschland oder dem Tschad komme. Eben nicht nur gemeinsam Bibel zu lesen und zu beten, aber dann wenn Schwierigkeiten kommen, die Koffer zu packen und zu gehen. In Gottes Barmherzigkeit begegnete er mir genau in diesen Punkten und löste vorsichtig die Knoten. Als ich das realisierte, staunte ich neu über Gott.
John Piper schreibt in seinem Buch "Corona und Christus" (das schon auf deutsch übersetzt wurde):
"Dieselbe Souveränität, die Corona stoppen könnte, es jedoch nicht tut, genau die Souveränität ist es, welche die Seele in all dem erhält."
Gott lässt uns alles zum Besten dienen - Süßes und Bitteres.
Das ist Barmherzigkeit!
Nun vertraue ich seiner Führung für die nächsten Monate. Klar ist, dieses Land, das uns in den letzten Monaten so ans Herz gewachsen ist, wird durch eine tiefe Krise gehen. In den letzten Tagen sind die Infektionszahlen enorm angestiegen. Einzelne Krankenhäuser sind schon "infiziert", Ärzte erkrankt. Wir trauern jetzt schon mit diesem Land, das viele Menschen verlieren wird. Doch ob wir hier sein werden oder in Deutschland: Eines will ich tun - für die Menschen hier beten. Beten, dass gerade in diese Situation Hoffnung hineinkommt. Dass sie Licht am Ende des Tunnels sehen, das alles neu macht.
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